The struggle is real

„Sport ist Mord?“ - „Leben ist Bewegung?“ Ist das erste Zitat nur ein solches, weil es sich reimt? Ist das zweite nur eines, weil ein Grieche, auf den unsere Medizin schwört, dieses zum Besten gegeben hat?

Nach meiner Ausbildung zur Physio habe ich direkt mit einer weiteren Fortbildung angeschlossen, eine Freundin sagte einmal: „Wenn du die hast, bist du ein echter, ausgewachsener Physio!“

Kurz zur Einordnung: Es ist eine Ausbildung für manuelle Behandlungstechniken hauptsächlich für den orthopädischen und chirurgischen Bereich.

Zweieinhalb Jahre, unzählige Wochenenden und viele Tage Freizeit gingen dafür drauf. Wochenenden, an denen ich arbeitete, um Überstunden aufzubauen, die ich brauchte, um mir für die Weiterbildung freizunehmen. Stunden vergingen, an denen ich abends Zuhause saß und lernte, die Anatomie noch genauer studierte und Videos zu erlernten Techniken ansah um diese zu perfektionieren, damit für die Prüfung nichts schief gehen konnte. Kilometer und Stunden wurden im Auto verbracht, um zur Schule zu kommen und meine Lernpartnerin zu treffen.

Und dann die Prüfungsvorbereitung. Inmitten meines Umzugs. Und während ich mein Match gerade gefunden hatte. Grandioses Timing.

War ich auf die Prüfungsvorbereitung vorbereitet? Natürlich nicht, dafür war dieser Kurs ja da. Sah die Dozentin allerdings anders. Wer kann denn wissen, dass man für die Prüfungsvorbereitung auf die Prüfung vorbereitet sein muss?

Kurz gesagt, mein hinterlassener Eindruck war genau das nämlich nicht – eindrücklich. Also weitere Stunden, die ich damit verbrachte, mir Zusammenfassungen zu schreiben, Plakate zu malen und meinen neuen Wohnungsboden damit zu fliesen. Kam man mich zu der Zeit besuchen war es das reinste Chaos; überall lagen Buntstifte, Textmarker, vollgeschriebene und durchgestrichene Blockseiten auf dem mit Plakaten gefliesten Boden. Ein Anatomieatlas lag aufgeschlagen über dem heiß laufendem Laptop und vereinzelt lagen Ginko-Kapseln und Karteikarten verstreut. Der Tisch war voll mit leeren Tassen, Schokolade, Keksen und im Eisfach musste mindestens ein Becher mit Topped Saltet-Caramel-Eis bereitliegen.

Meine Lernpartnerin und ich trafen uns über Monate einmal wöchentlich und versuchten uns möglichst miese Fragen zu stellen, um auf jegliche Eventualitäten während der Prüfung vorbereitet zu sein.


Nach einem aufregenden letzten Wochenende hatten wir es dann wirklich geschafft – wir hatten geschwitzt, geweint, gepaukt und waren verzweifelt – um jetzt das Zertifikat mit unserem Namen darauf in den Händen zu halten. Ich hatte mich selten so frei gefühlt – nicht einmal nach meinem Schulabschluss oder dem Physioexamen.


Jetzt wusste ich alles. ALLES. Es gab eine genaue Vorgehensweise im Befund, wenn das passiert, untersuchst du das, wenn das herauskommt, behandelst du jenes. Ideal. Ein Raster, ein System – eine Lösung!

Und dann kamen die Patienten, die das nicht wussten. Die Patienten bei denen der Befund löchrig war, bei denen ich nicht alles testen konnte, oder aber die Patienten, bei denen ich alles testen konnte, einen genauen Befund herausbrachte und die vorgesehene Behandlung nicht funktionierte.

Super, also alles umsonst? Zweieinhalb Jahre für die Katz? Auch nicht, denn es gab ja noch die Vorzeigepatienten, bei denen die Behandlung super funktionierte und die glücklich aus der Behandlungskabine spazierten. Mein Gehirn arbeitete.


Um auf dem neuesten Stand zu bleiben und meinen Horizont zu erweitern, kam ich auf die Idee Social Media auch beruflich zu nutzen. Auf Instagram tummeln sich viele gut geschriebene Profile von Physios, Ärzten und Sportwissenschaftlern.


„Blockaden in Gelenken sind nicht möglich“ - „Passive Behandlungstechniken bringen nur kurzzeitigen Erfolg und kurze Schmerzlinderung“ - „Das Wichtigste sind aktive Behandlungsansätze“ - „Viele Schmerzsituationen können einfach durch gezieltes Training gelöst werden“ - „Gelenke und Muskeln können manuell nicht beeinflusst werden“ - „Eine evidenzbasierende Therapie muss aktiv im Trainingsraum stattfinden“

Das und vieles Mehr las ich – und heulte.


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